Freitag, 3. Oktober 2014

Apropos Berlin

Berlin, 3. Oktober 1990: Deutschland wiedervereinigt

"Berlin ist viel zu groß und unübersichtlich", so hört man schon einmal eierpellende Touries aus Wessiland nörgeln. Stimmt nicht!

Schaut man von oben auf die Stadt, sieht Berlin aus wie ein großes Fadenkreuz: Von Westen nach Osten zieht sich eine breite Chaussee durch die Stadt, eine weitere von Norden nach Süden. In der Mitte kreuzen sie sich - in der Nähe des Brandenburger Tores, aber nicht direkt dort (dann hätte es auch keinen Grund gegeben, dort ein Tor zu bauen). Dort, wo sie sich kreuzen, heißt die Ost-West-Achse "Unter den Linden", die Nord-Süd-Achse Friedrichstraße.

Das hätten wir schon mal.

Piekt man nun einen virtuellen Zirkel genau in die Kreuzung der Straßen und zieht einen Kreis um den Mittelpunkt herum, baut man auf diesem eine ringförmige S-Bahn-Strecke und beult den Kreis so aus, dass das Bild eines nach Westen schauenden Hundekopfes mit angelegten Ohren entsteht, dann erhält man eine Art Fadenkreuz, an dem man sich in Berlin ganz gut orientieren kann.
Ziemlich genau in der Mitte befinden sich der Alexanderplatz und der Leipziger Platz. Warum nicht der Potsdamer Platz? Das liegt daran, dass der Potsdamer Platz kein Platz, sondern eine schlichte Kreuzung vor dem Leipziger Platz ist, den aber wiederum keiner kennt, weil die Hochhäuser in der Nähe der Plätze immer nach dem Potsdamer Platz benannt werden, da die Grenzübergangsstelle, die hier einmal war, unter dem Namen des zugemauerten U- und S-Bahnhofs bekannt wurde. Das ganze ist mittlerweile so erfolgreich, dass auch das Kulturforum (am Kemperplatz) vielleicht umbenannt werden soll in "Kulturforum am Potsdamer Platz". Man munkelt, die Anwohner am Innsbrucker Platz und am Breitscheidplatz würden langsam nervös, seien aber nicht prinzipiell gegen eine Umtaufe halb West-Berlins in "Bezirke am Potsdamer Platz". So viel dazu.

Nun zur Geschichte. 

Vor einigen tausend Jahren gab es kein Berlin an der gleichen Stelle, aber schon einen Fluss in der Mitte (der heutige Bezirk dort heißt auch so). In der Mitte dieses Flusses, der Spree, liegt die Spree-Insel (heißt natürlich erst heute so). Dort konnte man als König am ehesten sein sicheres Schlösschen hinsetzen, was auch irgendwann passierte. Das Schloss (zuletzt als Stadtschloss bekannt, da kein König oder Kaiser mehr drin wohnte) stand dann auch einige hundert Jahre dort, bis Walter Ulbricht (DDR) es abreißen ließ, da er nicht an diese monarchische Vergangenheit erinnert werden wollte.

Aber zurück zu den Königen: Diese hatten meist nur zwei verschiedene Namen (Wilhelm und Friedrich), aus denen sie mit einem Binär-Randomisierungs-Programm neue bildeten, weshalb sich auch heutzutage kein Schüler merken kann, wer wer war, da z. B. die letzten zweihundert Jahre folgende Regenten in Berlin werkeln ließen:

  • Friedrich Wilhelm III. (als Napoleon die Stadt besuchte)
  • Friedrich Wilhelm IV. (Stichwort Museumsinsel)
  • Wilhelm I. (Stichwort Bismarck)
  • Friedrich III. (99 Tage Kaiser, dann Tod durch Kehlkopfkrebs; hieß als Kronprinz Friedrich Wilhelm)
  • Wilhelm II. (Stichwort Erster Weltkrieg oder - letzter deutscher Kaiser, der mit dem zackigen Schnurrbart. Hieß als Kronprinz "Prinz Wilhelm") Weggelassen habe ich den Soldatenkönig (Friedrich Wilhelm, glaube, der I.) und seinen frankophilen Sohn, Friedrich II. (den "alten Fritz" - Stichwort Rex Pils).
  • Was hat das mit dem Aufbau Berlins zu tun? Wir erinnern uns: Friedrichstraße/Unter den Linden/Brandenburger Tor!


Irgendein Friedrich ließ ein neues Stück Stadt auf der anderen Seite der Spree, gegenüber seinem Schloss anbauen. Ja, so etwas Anbaumäßiges, das der Sicherung dienen sollte (mit einem Graben), und das heißt in Deutschland oft "Werder", in diesem Fall "Friedrichswerder" (= Werder von Friedrich). Deswegen heißt z. B. heute noch eine dort stehende, von Karl F r i e d r i c h (!) Schinkel erbaute Kirche auch "Friedrichswerdersche Kirche".

Als hinter dem Friedrichswerder wieder ein Stück Stadt angebaut wurde, bekam dies den etwas einfacheren Namen Friedrichstadt (= Stück Stadt neben dem Werder von Friedrich, heute stehen dort deshalb die Kommerz-Bauten "Friedrichstadt-Passagen" = Durchgänge im Stück Stadt am Werder von Friedrich). Klar, dass die Grenze der Friedrichstadt die Friedrichstraße war (bzw. umgekehrt, erst gab's da wohl die Friedrichstadt, dann wurde der Trampelpfad am Rand Friedrichstraße genannt.

Da Könige selten in einem einzigen Schloss wohnen (oder Gattinnen haben, die auch eins wollen), wurde für irgendeine Charlotte (Sophie-Charlotte? Übrigens Frau von Friedrich I., der vor seiner Krönung zum ersten König Preußens Friedrich III. hieß, was die Sache nicht eben erleichtert) ein Schloss außerhalb Berlins gebaut, das natürlich heute bzw. seit 1920 wieder i n n e r h a l b Berlins liegt, weil die Stadt immer weiter anwucherte (Schuld: Wilhelm I. bwz. Bismarck).

Um nun zum Charlottenburger Schloss (ein ähnlich gescheiter Name wie "Schloss Burg" in Solingen) zu gelangen, wurde eine nette Allee zwischen Stadtschloss und Schloss Charlottenburg angelegt, eben die anfangs angesprochene Ost-West-Achse, die bis zur (damaligen) Berliner Stadt-Grenze mit Linden-Bäumchen dekoriert wurde: Fertig war "Unter den Linden". Deswegen auch Brandenburger Tor: Da ging's raus aus der Innenstadt - und zwar in Richtung Brandenburg (die Stadt ist gemeint, nicht das heutige Bundesland), die damals noch nicht am Ku(rfürsten)damm lag (nicht zu verwechseln mit der Prostituierten-Meile "Kürfürstenstraße"!), sondern dort, wo heute gar nichts mehr ist außer dem so genannten ehemaligen "Palast" der Republik - am Schloss.

Stichwort Kurfürstendamm: Der Große Kurfürst hieß - na? - Friedrich Wilhelm und wohnte auch im Stadt-Schloss. Seine unbeschäftigte und früh verblichene Gattin Louise Henriette bekam auch ein Schloss im Norden Berlins, und da sie von den Holländern abstammte, also von den Oraniern, hieß das Schloss im Norden Berlins Oranienburg (auch keine Burg, aber so läuft das hier).

Stichwort Palast: Im Norden der Friedrichstraße in der Spandauer Vorstadt (weit weg von Spandau, gleich mehr zu diesem Paradox), die an die Friedrichstadt grenzt, liegt der "Friedrichstadtpalast", ein Plattenbau-Revue-Theater, gebaut von der DDR (hätte eigentlich Erichstadtpalast heißen müssen). Die "Spandauer Vorstadt" war also der Stadtanbau an die Friedrichstadt in Richtung Spandau (= Stadtteil Richtung Spandau, an Stadtteil grenzend, der an den Werder von Friedrich grenzt). Palast heißen in Berlin meist hässliche Gebäude: Palast der Republik, Friedrichsstadt-Palast, Palast-Hotel (wurde umbenannt und abgerissen). Im Osten heißen sie "Palast", im Westen "Arkaden", "Passagen", "Center", "Forum" oder "Karree".

Hier müssen wir innehalten, um einige wichtige Aussagen noch einmal zusammenzufassen:

  • Die Mitte Berlins bildete über viele hundert Jahre ein Schloss, in dem die Könige Preußens residierten, aus denen dann drei gesamtdeutsche Kaiser hervorgingen: Wilhelm I., sein Sohn Friedrich III. sowie dessen Sohn Wilhelm II.
  • An dem Platz, auf dem bis 1950 das Stadtschloss stand, also die politische und kulturelle Mitte der Stadt und des Landes Preußen, wenn nicht Deutschlands, befand sich später der Bau der DDR-Volkskammer sowie später ein Kabarett-Zelt, in dem nach (u. a.) Helge Schneider die Kabarettistin Desiree Nick zurzeit eine Veranstaltung namens "Hängetitten" aufführt.
  • Jetzt ist da wieder ein Schloss, aber man erkennt es noch nicht.

Monarchie und Demokratie haben sich in Deutschland selten gut vertragen, weshalb auch das Parlament als Ort der Demokratie vor die Stadtgrenze gelegt wurde. Deshalb steht der Reichstag kanpp v o r dem Brandenburger Tor, also dem Tor, durch das man lange Zeit die Stadt verließ. Der Platz vor dem Reichstag heißt heute konsequent "Platz der Republik", sprich: Platz der Regierungsform, die demokratisch ist und nichts mit Monarchen am Hut hat". Vorher hieß er ebenso konsequent einmal "Königsplatz", sprich: "Platz der Staatsform, die nichts mit dem Ding zu tun hat, das gegen die Monarchie ist und in dem ein Parlament sich aufhält". Mitten auf diesem stand die Siegessäule, und die Victoria-Goldelse - eine Siegesgöttin also - auf dieser blickte nach Süden. Heute steht sie auf dem Großen Stern, mitten auf der Ost-West-Achse, und guckt nach Westen. Außerdem ist sie höher als zu Anfang des Jahrhunderts. Wieso? Wegen Hitler, aber dazu später mehr. Erst einmal noch zurück zur Ost-West-Achse.

Wir erinnern uns: Der König ritt von seinem Stadt-Schloss zu seiner Gemahlin im Schloss Charlottenburg. Die große Ost-West-Achse, die heute "Straße des 17. Juni" heißt, hieß logischerweise lange Zeit "Charlottenburger Chaussee", da sie nach Charlottenburg führte. So ist es übrigens häufig in Berlin: Straßen und Plätze sind oft danach benannt, wohin sie führen: Die Potsdamer Straße führte von (Klein-Berlin) in Richtung Potsdam, der Tegeler Weg Richtung Tegel usw. Kompliziert wurde es, wenn alle anderen markanten Bauten in der unmittelbaren Umgebung auch diesen Namen bekamen, etwa die zahllosen Kopfbahnhöfe: Der Schlesische Bahnhof führte Richtung Schlesien, der Anhalter Bahnhof Richtung Anhalt aus der Stadt raus (genauso: Frankfurter Bhf., Stettiner Bhf., Lehrter Stadtbahnhof, Hamburger Bhf. usw.): Kurioserweise gab es auch in Berlin aus ebendiesem Grund einen "Potsdamer Bahnhof", nämlich am Potsdamer Tor, am Potsdamer Platz und  an der Potsdamer Straße. Den Bahnhof gibt es dort heute nicht mehr, nur eine Grünfläche (mein Vater, der einmal in den 40er Jahren dort mit der Bahn hinfahren wollte, beging den Fehler, Reisende nach dem Weg zu fragen und landete prompt am Potsdamer Bahnhof - in Potsdam).

Vom Anhalter Bahnhof, der also nichts mit irgendwelchen Anhaltern zu tun hat, steht heute nur noch ein Teil des Eingangsportals; der Lehrter Stadtbahnhof wurde zum neuen Hauptbahnhof Berlins ausgebaut. DDR-Ost-Berlin hatte einige Zeit auch einen "Hauptbahnhof", nämlich den ehemaligen und umbenannten "Ost-Bahnhof" bzw. "Frankfurter Bahnhof" in Friedrichshain (da ist dieser Name wieder!), der heute wieder Ost-Bahnhof heißt. Wir müssen ergänzen, dass der Lehrter Bahnhof (der alte wurde nach dem Krieg komplett abgerissen) zurzeit ein S-Bahnhof der Stadtbahn ist (was ist das nun wieder? Antwort gleich!), der auch abgerissen wurde, um dem neuen "Lehrter Bahnhof" zu weichen, der dann jetzt "Berlin Hauptbahnhof" heißt. Könnten Sie das bitte wiederholen?

Stadtbahn. In Berlin heißt S-Bahn nicht unbedingt wie in Westdeutschland "Schnell-Bahn" (wäre eh falsch), sondern eine S-Bahn-Strecke mitten durch die Stadt, von West nach Ost, heißt Stadtbahn - eben weil sie quer durch die ganze Stadt geht, von Potsdam bis Erkner.

Stichwort Tor. Die zeitweiligen Grenzen der Stadt kann man gut an den Namen der Stadt-Tore ablesen, von denen wir schon zwei kennen: das Brandenburger Tor (Stadtausgang Richtung Brandenburg) und das Potsdamer Tor (am heutigen Potsdamer Platz, Stadtausgang Richtung Potsdam). Weitere Tore, auf die heute oder vor einigen Jahrzehnten Namen von U- oder S-Bahn-Stationen hinweisen bzw. -wiesen: Stralauer Tor (Richtung Spreehalbinsel Stralau, der ehemals dazu gehörende U-Bahnhof an der Oberbaumbrücke wurde abgerissen), Hallesches Tor (nicht nach dem Halleyschen Kometen benannt, sondern nach der Stadt Halle an der Saale), Oranienburger Tor (Richtung Norden - nach Oranienburg, Stichwort holländische Oranjer-Prinzessin, die Frau von Friedrich Wilhelm, dem "Großen Kurfürst". Sein Reiterstandbild steht übrigens heute im Hof des Charlottenburger Schlosses, früher stand es hinter dem Stadtschloss. Ein weiterer Abdruck steht im Bode-Museum, ehemals Kaiser-Friedrich-Museum, benannt übrigens nach Kaiser Friedrich III., Stichwort Kehlkopfkrebs, 99-Tage-Kaiser).

Weiter: Schlesisches Tor in Kreuzberg, am ehemaligen Schlesischen Bahnhof (später Görlitzer Bahnhof, der U-Bahnhof dazu heißt noch heute so, der Fernbahnhof wurde abgerissen. Dafür gibt es noch den Bahnhof Schlesisches Tor. Auf dem Gelände des ehemaligen Schlesischen bzw. Görlitzer Bahnhofs befindet sich an der Görlitzer Straße heute ein Park mit dem Spreewaldbad am Spreewaldplatz und einer Nachbildung des türkischen Pamukkale-Brunnens, der gleich nach der Eröffnung wegen Baufälligkeit wieder für die Öffentlichkeit gesperrt wurde).

Das Kottbusser Tor (nicht: Cottbusser Tor, warum weiß kein Mensch, da Cottbus schon immer Cottbus geschrieben wurde) ist heute Drogenumschlagplatz Nr. 1 in Berlin, der dort abzweigende Kottbusser Damm wirkt gegen die architektonisch verelendete Gegend um den U-Bahnhof Kottbusser Tor geradzu idyllisch. Das architektonische Monstrum "Neues Kreuzberg-Zentrum", abgekürzt NKZ (kein Scherz, der Gleichklang mit KZ war unbeabsichtigt, aber auch offenbar unbemerkt) ersetzte in den 70er Jahren die augenfreundlichen, aber heruntergekommenen Berliner Stuck-Altbauten rund ums Kottbusser Tor. Ein Jammer.

Beim "Frankfurter Tor" bin ich mir nicht sicher, ob es früher einmal auch ein Stadttor gewesen ist, da es zumindest architektonisch als Abschluss der Karl-Marx-Allee erst in den 50er Jahren entstanden ist (die beiden Türme sollen an den Deutschen und Französischen Dom auf dem Gendarmenmarkt erinnern - quasi "Arbeiter-Kirchen"). Putzig ist jedenfalls die Geschichte des dazugehörenden U-Bahnhofs, der in der DDR "Frankfurter Tor" hieß, was ja auch sehr treffend war. Nach der Wende entschloss sich die BVG, ihn in "Rathaus Friedrichshain" umzutaufen, wohl im Glauben, das "Friedrichs-" komme immer gut an in Berlin, wofür, wie wir oben gesehen haben, ja auch einiges spricht. Dennoch ging ein Ruck durch die Friedrichshainer, und es hagelte Proteste, woraufhin man sich entschloss, den Bahnhof kompromisslerisch in "Petersburger Platz" umzubenennen. Immerhin verzichtete man darauf, die Netzspinnen in allen öffentlichen Verkehrsmitteln entsprechend neu zu drucken, was auch letztlich eine kluge Entscheidung war, denn wieder war die Aufregung groß; die Bürger forderten die erneute Umbenennung in "Frankfurter Tor". Die BVG gab nach, war aber wohl frustriert von den nicht eben geringen Kosten der laufenden Umbenennungen, so dass folgende Situation entstand: Auf allen Netzspinne in den U- und Straßenbahnen sowie auf allen S- und U-Bahnhöfen las man, der Bahnhof heiße "Rathaus Friedrichshain". Fuhr man dann hin, konnte man den Schildern über der Erde entnehmen, der Bahnhof heiße "Frankfurter Tor". Stieg man in den Untergrund, sah man sich mit Schildern konfrontiert, nach denen der Bahnhof "Petersburger Platz" hieß. Nach einigen Monaten oder Jahren heißt nun alles wieder "Frankfurter Tor" - wie zu DDR-Zeiten.

Das Hallesche Tor ist der südliche Startpunkt der Friedrichstraße, zugleich auch der fast parallel laufenden - na, wie könnte eine solche Straße wohl heißen? - Wilhelmstraße. Mit dieser Wilhelmstraße hat es historisch etwas Hochinteressantes auf sich: Sie war früher die Straße, in der sich alle wichtigen Ministerien Deutschlands befanden. Heute ist dort u. a. wieder das Finanzministerium angesiedelt, in einem Gebäude, zu dem wir auch noch etwas schreiben müssten. In der Mitte der Wilhelmstraße war vor dem Krieg der Wilhelmplatz, an dem das berühmte Hotel Kaiserhof lag. Warum ist das interessant?

Nun, an der Wilhelmstraße lag auch die Reichskanzlei, die für Hitler dann 1938/39 Ecke Voßstraße gehörig erweitert wurde, bis das ganze Ensemble aussah wie das Tal der Könige im alten Ägypten. Gegenüber lag also der Wilhelmplatz, und wenn man alte Wochenschauaufnahmen sieht, in denen Hitler auf seinen Balkon tritt und selbstgefällig den Arm zum "Heil-myself" nach hinten klappt, dann sieht man auch den Wilhelmplatz, auf dem so rund 100.000 begeisterte Untertanen "Heil Hitler" kreischten.

Nach dem Krieg wurde alles abgerissen, der Wilhelmplatz bebaut, dort stand dann bspw. die Botschaft Tschechiens. Das Hotel Kaiserhof, in dem die Nazis sich vor der Machtergreifung häufig getroffen und in dem sie zeitweise politisch wie in einer Behörde residiert hatten, wurde auch abgerissen. Aus dem Wilhelmplatz wurde ein namenloses Nichts, aus der Wilhelmstraße die Otto-Grothewohl-Straße, dann, nach der Wende, kurzzeitig die "Toleranzstraße", bis auffiel, dass in Frankreich so vor allem Straßen heißen, in denen es von gewissen Etablissements wimmelt; anschließend hieß sie wieder durchgehend (ein Teil lag in West-Berlin und behielt immer den alten Namen) "Wilhelmstraße".

Der U-Bahnhof wechselte seinen Namen mit Platz und Straße: Aus "Kaiserhof" wurde "Otto-Grothewohl-Straße", heute heißt er nach einer Querstraße umstritten "Mohrenstraße". Mohren gibt es in der ganzen Ecke übrigens kaum, die armseligen Plattenbauten, mit denen die DDR das Gelände der ehemaligen Ministergärten bebaute, beherbergten nur DDR-Bürger und -Promis. Unter anderem soll dort Katharina Witt gewohnt haben (schwer vorstellbar, denn elegant ist die Gegend nun nicht gerade). Der rote Marmor, der Hitlers Reichskanzlei auskleidete, ziert übrigens heute das Innere des U-Bahnhofs Mohrenstraße.

Mitten im Großen Tiergarten steht die Siegessäule, westwärts blickend, bekannt von der Love-Parade in den 90ern. Bis 1938/39 stand sie vor dem Reichstag und blickte südwärts. Außerdem war sie kleiner. Was war passiert? 
Dass Berlin eine breite Ost-West-Achse hat, war auch den Nazis nicht entgangen. Der GröFaZ (größter Feldherr aller Zeiten) hatte dann die schlaue Idee, vor dem Reichstag einen riesigen Dom namens "Germania" zu bauen und von dort aus eine Nord-Süd-Achse durch Berlin zu treiben, vor der die Welt erblassen sollte. Alles sollte gigantisch, deutsch und ewig sein, besonders aber gigantisch. Man kennt diese Brutalo-Architektur, die Berlin letztlich bis auf ein Gebäude (am heutigen Kulturforum, das aber nach dem Krieg abgerissen wurde) erspart geblieben ist.

Der Achse war die Siegessäule im Weg, weshalb sie kurzerhand umgesetzt wurde. Bei der Gelegenheit erinnerte man sich daran, dass sie aus Anlass des Sieges über Frankreich (1870/71) errichtet wurde und drehte sie nach Westen - hin zum Erbfeind, damit er das Goldene in ihrem Auge sehe. Außerdem wurde sie um eine Säuleneinheit höher gemacht (bis Frankreich gucken, das geht ja nicht aus 20 Metern Höhe). Man erkennt es an den Kanonenkränzen (vergoldete Kanonen aus dem deutsch-französischen Krieg): Das oberste Element wird durch einen Kranz vergoldeter Stäbe abgetrennt, welche Kanonen nur noch wenig ähneln. Mit der Siegessäule umziehen durfte auch das Bismarck-Denkmal, das direkt vor dem Reichstag gestanden hatte, geziert von einer hübschen Brunnenanlage. Heute steht es in der Nähe der Siegessäule und wird langsam von der Vegetation überwuchert. Der Platz vor dem Reichstag blieb leer und öde bis in unsere Tage, zeitweise wurde er als Fußballplatz genutzt.

Wenn man heute an der Seite des Sony-Centers am Potsdamer Platz steht, die Richtung Kulturforum liegt, befindet man sich direkt auf der geplanten Nord-Süd-Achse. Der Marlene-Dietrich-Platz vor dem Stella-Musical-Thater wäre das erste große Kreisverkehrs-Rondell der Achse gewesen.
Der "Südkreuz"-Bahnhof Papestraße wäre einem riesigen Bahnhof gewichen, der gleichfalls mitten auf dieser Achse gelegen hätte (Robert Harris hat ihm in seinem SciFi-Roman "Vaterland" den Namen "Gotenland" angedichtet.). Für einen Triumphbogen südlich des Bahnhofs Yorckstraße (in Nazi-Sprache hieß er "Bauwerk T") wurde bereits zu Testzwecken ein Betonsockel gelegt, den man heute noch sehen kann.

Was also ist Berlin? Ein immerwährendes Hin- und Hergeschiebe eigentlich vernünftig geplanter und beeindruckender Bauwerke deutscher Geschichte. Und wenn Sie dort mal einen Kaiser treffen - der heißt entweder Friedrich oder Wilhelm. Oder gleich beides. Viel Spaß in Berlin!

Mittwoch, 1. Oktober 2014

Berlin braucht kein Einheitsdenkmal

Wenn Politiker etwas für ihr Ego tun möchten, ist das Setzen von Denkmälern (in der Regel auf Kosten der Allgemeinheit und nicht aus eigener Tasche) eine beliebte Methode: Das Stadtbild neu zu schmücken, welch Wohlgenuss!

Berlin, 1985: Grenzstreifen Pariser Platz - Betreten verboten


In Berlin - arm, aber sexy - soll nun ein Denkmal für die deutsche Einheit vor dem ehemaligen Stadtschloss und künftigen Humboldt-Forum errichtet werden. Bisherige Schnell-Hin-und-dann-schnell-Wegguck-Momente ergaben: Das Denkmal ist ein modern anmutendes Ding, eine metallische Parabel, irgendetwas mit Brücke von A nach B oder so.
Nun ist das sicher eine künstlerisch passendere Lösung, als das Denkmal des alten Kaisers Wilhelm I. dort wiederzuerrichten (obwohl ich persönlich großer Fan der hier einmal drapierten Löwengruppe war, die auf Kanonen schlummerten). Aber ein Denkmal für die deutsche Einheit? Ausgerechnet in Berlin?
In einer jüngst gelesenen Biographie fand ich hierzu einen passenden Satz: Si monumentum requiris, circumspice - Wenn du ein Denkmal brauchst - blick dich um!