Freitag, 15. Mai 2015

Ich habe einen Traum

"Ich habe eine Traum!", so lautet der Höhepunkt der Rede von Martin Luther King Jr. am 28. August 1963. Er galt der diskriminierenden Rassentrennung von hell- und dunkelhäutigen Menschen in den Vereinigten Staaten.
Ganze drei Monate und elf Tage lebten Dr. King Jr. und ich Ende der 60er noch gemeinsam auf diesem Planeten, dann durchschlug eine Kugel aus dem Gewehrlauf eines weißen Rassisten seine Halsschlagader. King verblutete noch auf der Veranda seines Hotels in Memphis, Tennessee.

Dr. Martin Luther King Jr. am 23. August 1963 in Washington.

Quelle: „USMC-09611“ von http://www.marines.mil/unit/mcasiwakuni/PublishingImages/2010/01/KingPhoto.jpg. Lizenziert unter Gemeinfrei über Wikimedia Commons - https://commons.wikimedia.org/wiki/File:USMC-09611.jpg#/media/File:USMC-09611.jpg

Rassismus ist erbärmlich

Dr. King wusste sich im Recht: Der alltägliche Rassismus in den USA war unerträglich - und hier und da ist er es heute noch immer.
Auch in Deutschland wird Rassismus wieder offen geäußert, überwiegend als Diskriminierung von Muslimen. Besonders erbärmlich ist solch rassistisches Gehabe vor dem Hintergrund der Erfahrungen der Judenverfolgungen im Dritten Reich.

Ich erinnere mich, wie beschämt ich war, als ich 1993 im polnischen Ausland in einer Hotellobby die Bilder vom brennenden Haus einer türkischstämmigen Familie im westdeutschen Solingen sehen musste - ausländerfeindliche Rechtsextreme hatten es in Brand gesteckt. Fünf Menschen starben, 14 Familienmitglieder erlitten zum Teil lebensgefährliche Verletzungen (alle Täter sind heute wieder auf freiem Fuß). Die polnischen Hotelgäste hörten uns deutsch sprechen und schauten meine Begleitung und mich missbilligend an. So etwa müssen sich Muslime fühlen, wenn "bei uns" im Fernsehen über Attentate islamistischer Terroristen berichtet wird - und Deutsche dann strafend zu ihnen herüberblicken.

Wir und "die Anderen"

Wo immer Menschen leben, wird schnell unterschieden zwischen einem "Wir" - uns! - und einem "Ihr" - den Anderen eben. Je unterschiedlicher das Äußere der Menschen, je abgrenzender ihr Auftreten in der Öffentlichkeit ist, desto schlimmer die Ressentiments. Das gilt nicht nur gegenüber anderen Völkern oder Großgruppen. Auch Deutsche untereinander grenzen sich leidenschaftlich gerne gegeneinander ab:  Katholiken, Protestanten; hier die Wessis, dort die Ossis; wir auf Schalke, ihr Scheiß-Bayern. Köln. Düsseldorf. Alaaf und Helau. Da werden mit Kölsch und Alt selbst zwei obergärige Biere in den Stand einer Religion erhoben.

Kurz nach dem Fall der Berliner Mauer - als Ost-Berliner endlich auch in West-Berlin studieren konnten - hörte ich im Radio einmal eine Umfrage unter West-Berliner Jura-Studenten zum Thema "Wie finden Sie es, dass Ost-Berliner jetzt auch im Westen studieren können?" - gefühlte 80 Prozent waren skeptisch bis dagegen, weil man meinte, es würde der "einheimischen" Gruppe etwas weggenommen. Bei mir als einem Nordrhein-Westfalen hatte seinerzeit niemand etwas dagegen gehabt, dass ich in West-Berlin studierte. Aber es hatte eben auch niemand eine Umfrage zu dem Thema gemacht. Glück gehabt. Etwas Ähnliches würde vermutlich auch herauskommen, wenn man fragen würde: "Sind Sie damit einverstanden, dass auch Studenten aus dem Block nebenan jetzt an Ihrer Uni studieren können?" Traurig.

Ich bin in den 90ern oft von Berlin nach Nordrhein-Westfalen und zurück getrampt. Einmal nahm mich ein Kurde mit, bot mir unterwegs Spezialitäten aus seiner Heimat an und schimpfte den Rest der Fahrt über auf "die Türken", die sein Volk unterdrückten etc. Auf dem Rückweg nahm mich ein Türke mit, den ich auf das Thema "Kurden" ansprach. Die Folge war eine längere Schimpfkanonade auf die "Terroristen", ihre "Ehrenmorde" etc. Als wir Berlin erreichten, lud er mich auf einen Döner an seinem persönlichen Lieblingsdönerstand in Kreuzberg ein. Beide Männer waren die mit Abstand gastfreundlichsten und nettesten Fahrer, die ich im Rahmen meines Berlin-NRW-Trampens kennengelernt habe. Für viele Deutschen sind beide schlicht nur "Türken" oder "Südländer". Andere halt. Traurig.



Türkisches Kulturzentrum in Deutschland.


Hut ab vor Schülern mit Migrationshintergrund!

Wie weit Menschen sich von ihren Vorurteilen steuern lassen, hängt davon ab, wie offen sie gegenüber Neuem sind. Seit 2009 unterrichte ich an unserer Schule auch viele Schüler mit Migrationshintergrund, die zum Großteil aus der Türkei stammen.
Diese jungen Menschen bereichern unsere Gesellschaft. Sie sind ambitioniert und leisten oft Erstaunliches. Die meisten sind hier aufgewachsen, ihre Eltern oder Großeltern kamen als Gastarbeiter zu uns, zu Hause wird oft Türkisch gesprochen, was es den jungen Menschen erschwert, eine Schriftsprachkompetenz im Deutschen zu erwerben, mit der man in diesem Land erfolgreich Karriere machen kann, handelt es sich dabei doch um eine Schlüsselqualifikation.
Ich habe Eltern kennen gelernt, für die ihre Kinder dolmetschen mussten. Diese können auch nicht wie die Eltern des einen oder anderen Gymnasiasten oder Berufsschülers hunderte von Euro in Nachhilfestunden stecken, um schulische Defizite ihrer Kinder auszubügeln. Ich habe unglaublichen Respekt vor allen Schülerinnen und Schülern, die aus der Türkei, aus Syrien, dem Irak, aus Russland, Serbien und anderen Ländern zu uns gekommen sind und hier innerhalb kurzer Zeit ein auch nur halbwegs vernünftiges Deutsch gelernt haben! Umgekehrt würde ich selber nie Französisch und Arabisch oder Türkisch, geschweige denn Russisch oder Serbisch, in so kurzer Zeit erlernen können! Hut ab vor euch! (Leider fallen uns Lehrern solche Sätze zu selten im Unterricht ein!)

Menschen sind geprägt durch die Kultur ihres Elternhauses, ob sie wollen oder nicht. 80 Prozent der Kinder gehören der Konfession ihrer Eltern an, gleich, ob katholisch oder muslimisch. Menschen sind aber auch stets bereit, sich auf Neues einzustellen und zu lernen. Sonst würde Schule keinen Sinn machen. Man muss aber auch auf andere Menschen zugehen und ihnen die Hand reichen und ihnen zeigen, dass sie Teil eines "Wirs" sind. Gibt man ihnen das Gefühl, sie seien ja nur ein Teil "der Anderen", dann sagen sie irgendwann "wir" und meinen "wir Türken" oder "wir Muslime", und nicht "wir Berliner", "wir Deutschen" oder "wir "Europäer".

Und deswegen muss die alltägliche Diskriminierung aufhören. Bewerber mit deutschen Namen erhalten bei gleicher Qualifikation insgesamt 14 Prozent mehr positive Antworten als die Bewerber mit türkischen Namen. Tobias und Dennis bekommen oft das Praktikum, Serkan und Fatih gehen häufig leer aus. (Quelle: Spiegel online)

Es ist ein Zeichen mangelnden zwischenmenschlichen Respekts, wenn die seit ihrem siebten Lebensjahr in Deutschland aufgewachsene türkischstämmige Schauspielerin und Autorin Renan Demirkan von einem Journalisten des Hessischen Rundfunks gefragt wird, wie sie denn "als Fremde" Europa erlebe und erstaunt zurückfragt: "Wieso 'Fremde'?" - und er hinterherschiebt: "Na ja, als HALBfremde, als Türkin sozusagen."

Aber Menschen sind mehr als die Summe ihrer Vorurteile.

Und deshalb habe auch ich noch immer einen Traum.

Ich habe einen Traum, dass eines Tages Serkan und Fatih genau so gut an einen Praktikumsplatz gelangen wie Tobias und Dennis. Dass "ausländische Mitbürger" als "einheimische Bürger" gesehen werden und alle Bürger als Menschen wie du und ich.

Ich habe einen Traum, dass eines Tages auch in diesem Land und überall auf der Welt die Menschen erkennen, dass ein respektvolles und tolerantes Miteinander so viel stärker ist als ein respektloses und hasserfülltes Gegeneinander und dass Einseitigkeit und Unvernunft den Menschen wieder zum Tier machen, während Vielseitigkeit und Vernunft Kräfte sind, die Menschen zu etwas machen, das den Namen Menschheit verdient.

Ich habe einen Traum: Dass die Liebe den Hass überwinden kann und eines Tages alle Völker Freunde werden!

Dies ist meine Hoffnung, dies ist mein Glaube.

Amen!



"Ich habe einen Traum - I have a dream"

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OECD-Studie: Wo die Chancen von Migranten am schlechtesten sind

Migrantenkinder aus Euro-Krisenländern: Sprachlose Schüler

Bewerber-Diskriminierung: Tobias wirft Serkan aus dem Rennen

RESPEKT STATT INTEGRATION - RENAN DEMIRKAN

Brandanschlag von Solingen 1993

Manager Magazin: Migranten - Neues Deutschland.


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